Aus dem Schatten der Stimme

Wolfgang „Woody“ Draeger ist in „Unser Film“ nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen.

„Synchronisieren ist für mich erfunden worden“, sagt der Schauspieler Wolfgang Draeger. „Denn ich arbeite gern im Dunkeln – ein Schauspieler, der nicht im Mittelpunkt stehen will, der kein Selbstdarsteller ist. Ich habe mich ins Dunkle verzogen und bin von dort auch nicht wieder aufgetaucht.“

Im Kurzfilm „Unser Film“ von den Kieler Filmemachern Gerald Grote und Claus Oppermann, der mit Hauptdarsteller Draeger als Gast im KoKi seine Kiel-Premiere feierte, tritt der 79-Jährige aus dem Schatten seiner Stimme, die ihn als Synchronsprecher von Woody Allen berühmt gemacht hat. Ein Ruhm, der auch ein Fluch ist, mit dem Grote in seinem Drehbuch ironisch spielt. „Machst du jetzt auf Woody Allen?“, fragt ihn Traudel Haas, die Synchronstimme von Allens Filmpartnerin Diane Keaton. Und natürlich ist Wolfgang immer irgendwie Woody, wenn er in der vexierbildnerischen Parabel auf das Kino im Kino mit seiner Filmfrau darüber parliert, wer nochmal in ihrer beider Lieblingsfilm der Hauptdarsteller war – „dieser, na, du weißt schon ...“

Stimme mit absolutem Wiedererkennungswert – auch im Interview: Wolfgang Draeger

Erstmals seit rund 30 Jahren sind Draeger und Haas auf der Leinwand nicht nur zu hören, sondern auch mal zu sehen. Für Draeger, der sich seine schauspielerischen Sporen unter anderem beim Kabarett „Die Stachelschweine“ verdiente, ist das ein Novum. „Wenn ich synchronisiere, habe ich meinen Text immer auf dem Pult. Ich muss zwei Sätze im Kopf haben, aber nicht eine ganze Szene. Das war eine Herausforderung, einen Dialog von vier Minuten in nur einer Einstellung hinzukriegen“, berichtet er über die Dreharbeiten zum „Take One“, den Grote und Oppermann im März in einem historischen Kinosaal auf Norderney inszenierten.

Als „der ewige Woody“ fühlt sich Draeger in solcher Rolle, wo er aus dem Dunkel des Studios in das Licht der Kamera tritt und so schauspielt, als wäre er auch „sichtbar“ der deutsche Allen, einerseits wohl, andererseits nicht. Die Festlegungen schmerzen ihn. Wo immer seine Stimme erklingt, denkt man an Woody, nicht an Wolfgang. „Ich fing an mit Stotterern, Neurotikern. Ich hatte fast Komplexe, dass ich nicht die Stimme für einen Liebhaber hatte. Die war nicht klangvoll, sondern quirrlig, kantig. So war ich früh auf den verrückten Außenseiter festgelegt.“ Als der hat er Karriere gemacht, die selbst „das Original“ überzeugte. Bei einer Sichtung der von Draeger synchronisierten Fassung von „Manhattan“ habe Allen gesagt, „dass meine Stimme viel besser ’drauf’ liege als seine eigene, ob ich nicht auch die englischsprachigen Filme synchronisieren könne. Aber das war natürlich nur ein Scherz.“

Dennoch schmeichelt Draeger solches Lob. Ebenso die Tatsache, dass der von Harald Juhnke synchronisierte Woody in „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten“ floppte und Draeger ihn für die TV-Fassung neu einsprach. „Das war für mich ein stiller Triumph.“ Den feiert der „kleine, sensible Verrückte“ jetzt nochmal auf der Leinwand – sichtbar, nicht bloß hörbar. (jm)


Interview mit Wolfgang Draeger

Wie unterscheidet sich Synchronisieren vom auch sichtbar vor der Kamera Stehen, insbesondere in „Unser Film“?

Wenn ich synchronisisere, habe ich meinen Text immer auf dem Pult. Ich muss vielleicht zwei Sätze im Kopf haben, aber nicht eine ganze Szene. So war es für mich eine kleine Herausforderung, einen Dialog von vier Minuten in nur einer Einstellung hinzukriegen.

Setzt man die Stimme anders ein, wenn man weiß, dass man nicht nur gehört wird, sondern auch gesehen?

Nein, wie man die Stimme einsetzt, hängt allein von der Rolle ab. Man denkt nie an die Stimme, sondern es kommt alles aus der Rolle heraus.

Wie kamen Sie zum Synchronsprechen?

Ich fing an mit Verrückten, mit Stotterern, Neurotikern, mit nicht geraden Typen. Ich hatte fast Komplexe, dass ich nicht die Stimme für einen Liebhaber hatte. Die war nicht klangvoll, tief, sondern quirrlig, kantig. So war ich relativ früh auf die verrückten Außenseiter festgelegt.

Macht es auch Spaß, einen Komödianten wie Allen zu synchronisisieren?

Der Spaß ist begrenzt. Synchronisieren ist einfach ein hartes Brot. Bei den ersten Filmen, z.B. „Woody der Unglücksrabe“, habe ich ja auch noch selbst die deutschen Texte gemacht und die Dialogregie geführt. Aber das ist einfach unglaublich schwierig, da verzweifelt fast jeder Autor dran.

Hatten Sie auch mal Kontakt mit Woody Allen?

Nein, leider nie. Wir waren mal zusammen auf der Berlinale eingeladen, zur Premiere von „Die letzte Nacht des Boris Gruschenko“. Aber Woody kam dann nicht und ich allein als seine deutsche Stimme war viel zu uninteressant, nur das fünfte Rad am Wagen. Da habe ich erst gemerkt, was für eine Afterkunst Synchronsprechen ist, wie schlecht die angesehen wird.

Aber als Harald Juhnke statt Ihrer in „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten“ synchronisierte, wurde das vom Publikum nicht angenommen. Der Film wurde dann mit Ihnen noch einmal nachsynchronisisert.

Ja, das ist ein stiller Triumph für mich. Da war Juhnke einfach falsch besetzt. Er konnte viel, aber das eben nicht. Er war eher so ein großmäuliger Komödiant, aber nicht dieser kleine, sensible Verrückte.

Woody Allen hat ja dann auch Ihre Stimme als deutsche Synchronstimme autorisiert.

Naja, autorisiert kann man wohl nicht sagen. Er weiß von mir, weil er mal eine von mir synchronisierte Fassung von „Manhattan“ in Amerika gesehen hat. Da soll er gesagt haben, dass meine Stimme viel besser „drauf“ liege als seine eigene, ob ich nicht auch die englischsprachigen Filme synchronisieren könne. Aber das war natürlich nur ein Scherz. Es gab jedoch mal eine Kritik von „Stardust Memories“, ein Film, der ziemlich verrissen wurde, wo der Kritiker schrieb, der Film sei nur durch meine Stimme überhaupt erträglich. Allen hat im Original ja diesen typisch amerikanischen, grellen, spitzen Ton, der in Amerika gut funktioniert, aber hier als schrecklich empfunden wird. Genau das habe ich nicht im Deutschen. Am Anfang haben wir noch versucht, diese Kopftöne ein bisschen herauszukitzeln, das hat auch der Superviser aus den USA gerne, aber das ist nicht meine Stimme.

Das heißt, Sie verleihen da Woody ihre ureigene Stimme?

Ja. Die Zuschauer sind einfach an meine Stimme gewöhnt, da muss ich es so weitermachen. Was soll ich mich da verstellen?

Wie ist die Zusammenarbeit mit der jeweiligen Dialogpartnerin, z.B. Traudel Haas?

In den letzten Jahren ist man gar nicht mehr zusammen im Studio. Ich habe meine Rollen immer alleine gesprochen. Besser war es früher, wo wir zusammen im Studio waren, da kann ich ihre Töne abnehmen. Wenn man nur seinen Satz sagt und ihren nicht hört, muss man natürlich ihren Satz – wie sie den sagt – immer im Kopf haben.

Wie wichtig ist eine Schauspielausbildung für das Synchronisieren?

Die ist sehr wichtig. Die Substanz eines Schauspielers, die er am Theater erfährt, bringt er mit ins Synchronstudio. Jemand, der bloß Sprecher ist, kann die Zwischentöne nicht bringen. Das hat sich heute im Synchrongeschäft verändert, da glaubt jeder, dass er es kann.

Machen Sie lieber Hörspiel oder Synchronsprechen?

Ganz klar Hörspiel. Da hat man freie Hand, da muss man nicht das machen, was der da oben auf der Leinwand macht. Man muss nicht auf Synchronität achten. Ich kann frei sprechen, ich kann die Rollen frei gestalten. Wenn ich einen schlechten Schauspieler synchronisisere, werde ich immer schlecht sein. Hörspiel ist gegenüber Synchronsprechen eine echte Erholung. Deshalb habe ich das immer ganz gern gemacht.

Synchronisieren ist für mich erfunden worden, denn ich bin jemand, der gern im Dunkeln arbeitet, der die Öffentlichkeit scheut – stellen Sie sich mal vor, ein Schauspieler, der die Öffentlichkeit scheut, der nicht im Mittelpunkt stehen will, der kein Selbstdarsteller ist, der kann doch keine Karriere machen. Ich habe mich ins Dunkle verzogen und bin daraus auch nicht wieder aufgetaucht.

(Das Interview führten: jm, dakro, Fotos: dakro)

Teile des Interviews als MP3, mono (in begrenzter Tonqualität) finden sich hier.

zurück zum Inhalt